Manon van Beek ist CEO des Stromnetzbetreibers TenneT. Hier spricht die Managerin über die Energiewende und was sie persönlich antreibt.
Manon van Beek betrachtet den Energiewandel mit Weitsicht, denn das Jahr 2030 ist für einen Stromnetzbetreiber bereits morgen. Seit sechs Monaten leitet die 48-Jährige als CEO den Betrieb TenneT. Ihr Ziel: Eine Balance zwischen maximaler Versorgungssicherheit und gesellschaftlicher Akzeptanz für den Umstieg zu finden. Mit MARKT sprach die Top-Managerin und zweifache Mutter über diese Herausforderungen, ihre ganz persönliche Motivation und worauf sie allergisch reagiert.
Seit September sind Sie CEO bei TenneT. Wie waren die ersten Monate?
Hit the ground running! Bei TenneT ist man sofort voll eingebunden. Ich hatte Termine mit Kollegen, anderen Netzbetreibern wie TransnetBW, 50Hertz und Amprion, Interessengruppen sowie mit Ministern aus Deutschland und den Niederlanden. Natürlich habe ich auch viele Projekte besucht. Es ist schlicht so: Du bekommst die Agenda deines Vorgängers und versuchst, in seinem Arbeitstempo im Tagesgeschäft mitzuhalten. Die erste Woche begann gleich mit der Eröffnung der internationalen Hochspannungsverbindung Doetinchem – Wesel am 21. September.
Klingt ziemlich intensiv!
Es war ein unglaublich intensives erstes Halbjahr, aber das war auch meine eigene Entscheidung. Glücklicherweise hatte ich vor meinem Einstieg bei TenneT Zeit, mich richtig vorzubereiten. Und in diesen Monaten nutzte ich zum Beispiel die Gelegenheit, zwei volle Wochen lang Deutsch beim berühmten Spracheninstitut der Nonnen in Vught zu lernen.
Bei Ihrem früheren Arbeitgeber Accenture haben Sie viel für den Energiesektor getan und waren an der Liberalisierung des Marktes und der Einführung von Ökostrom beteiligt. Wie kam es dazu?
An meinem ersten Arbeitstag bei Accenture begann ich am Nachmittag mit einem Projekt beim Energieversorgungsunternehmen EDON, heute Essent. Da wurde mir schnell bewusst, dass die Welt der Energie enorme gesellschaftliche Auswirkungen hat. Heute übrigens noch viel mehr als damals vor 25 Jahren. Bei Accenture war ich von Anfang an für den Energiesektor verantwortlich. Zu Beginn ging es um die Liberalisierung und die Teilung des Energiemarktes. Jetzt geht es um Nachhaltigkeit, Windenergie, intelligente Zähler und Elektroverkehr. Es ist ein gesellschaftliches Thema, für das ich gerne aus dem Bett aufstehe. Als die Einladung kam, als CEO zu TenneT zu kommen, fühlte es sich wie eine Berufung an.
Was ist die große Herausforderung für TenneT bei der Energiewende?
Die Versorgungssicherheit heute und in der Zukunft zu gewährleisten! In einem nachhaltigen Energiesystem mit schwankenden Stromerträgen aus Sonne und Wind ist das keineswegs selbstverständlich. Darüber hinaus ist die gesellschaftliche Akzeptanz und Bezahlbarkeit eine große Herausforderung. Das Gleichgewicht zwischen diesen Themen ist sehr wichtig.
Wie geht TenneT damit um?
Die Realisierung des Energiewandels erfordert gesellschaftliche Akzeptanz auf allen Ebenen, von national bis kommunal. Wir brauchen breite Unterstützung – es geht dabei nicht darum, ob Sie eine Windkraftanlage in Ihrem Garten haben wollen oder nicht, sondern vor allem um die Kostenfrage. Auch Innovation spielt eine besonders wichtige Rolle. Die Versorgungssicherheit muss gewährleistet bleiben, und hierfür treffen wir verschiedene Vorkehrungen. Wir bauen sozusagen Fluchtwege entlang jeder Stromautobahn. Die Frage ist, ob man diese Fluchtwege durch Echtzeitkontrolle beseitigen und das Auto, das die Staus verursacht, in einer Millisekunde von der Straße entfernen kann, so dass der Rest des Verkehrs weiterfließt. Das ist eine unglaubliche Aufgabe.
Worin liegen die Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden mit Blick auf den Energiewandel?
Ein wichtiger Unterschied ist, dass wir uns im Moment an unterschiedlichen Punkten befinden. In Deutschland kommt 40 Prozent der Energie aus erneuerbaren Energien. In den Niederlanden sind es rund acht Prozent. Hier gibt es noch viel zu tun. Eine große Herausforderung für Deutschland sind dagegen die CO2-Emissionen und die Pläne zum Abbau von Atom- und Braunkohlekapazitäten.
Wie packen die beiden Länder das an?
Die Niederlande haben mit dem Klimaabkommen einen guten Ansatz. Jeden Freitag führt der Wirtschafts- und Sozialrat (SER) in Den Haag Gespräche unter anderem mit Netzbetreibern, NGOs, Branchenorganisationen und Produzenten. So entsteht eine Plattform, auf der man sich treffen und kontinuierlich zusammenarbeiten kann. In Deutschland gibt es ehrgeizige Pläne für die Energiewende und den Ausstieg aus der Atom- und Kohleindustrie. Durch diesen Fokus kommt es zu ganz konkreten Plänen – die man in dieser Form an einem Klimatisch nicht so einfach zusammenbringt.
Und kulturell gesehen?
Auffällig ist, dass Deutschland einen perfekten, allumfassenden Plan ausgearbeitet hat. In den Niederlanden legen wir einfach los und nehmen im Laufe der Zeit Anpassungen vor. Für beide Wege spricht etwas: Man muss einen Plan haben, aber man muss auch einfach anfangen. Was ich bei TenneT versuche, ist, das Beste beider Länder zu nutzen. Mein Motto: Bewahre vor allem die Vielfalt, das macht die Sache interessant und bunt. So ist das auch bei uns zuhause: Mein Mann ist Italiener und wir versuchen das Gute beider Seiten gemeinsam einzusetzen. Letztendlich müssen wir diese Unterschiede überwinden, denn die Agenda für den Energiewandel ist nicht niederländisch oder deutsch, sondern europäisch.
Es gibt bereits grenzüberschreitende Verbindungen zwischen den Niederlanden und Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern. Wollen Sie diese weiter auszubauen?
Ja, und das ist notwendig. Eine nachhaltige und bezahlbare Versorgungssicherheit kann es künftig nur in einem europäischen Energienetz geben. Die Deutschen sagen das sehr schön: Wir sind alle vernetzt. Diese Verbindung ist wichtig für die Preisgestaltung und den effi zienten Austausch erneuerbarer Energien. Je besser Sie vernetzt sind, desto besser können wir alle von der Sonnen- und Windenergie profi tieren – auch wenn der Wind Hunderte von Kilometern entfernt weht. Damit schaffen wir mehr Versorgungssicherheit.
Könnten Sie uns ein Beispiel nennen?
Zwei gute Beispiele sind NordLink, eine Unterwasserverbindung zwischen Deutschland und Norwegen, und Cobra, eine See-Kabelverbindung zwischen den Niederlanden und Dänemark. Beide werden 2020 beziehungsweise 2019 in Betrieb gehen. Wenn Sie weiter in die Zukunft blicken, sehen Sie Projekte wie das North Sea Wind Power Hub: die großflächig angelegte Nutzung der Windenergie in der Nordsee. Bei so einem Mega-Projekt gibt es oft einen Strom überschuss und manchmal einen Mangel. Dann muss gemeinsam über die Systemgrenzen hinaus gedacht werden.
Ist die gesellschaftliche Aufgabe der Energiewende eines Ihrer Motive für den Einstieg bei TenneT?
Ja, es ist sogar die wichtigste Triebfeder. Was den Klimawandel betrifft, so macht mich das emotional, aber ich bewahre einen kühlen Kopf. Ich finde meine Aufgabe auch mit Blick auf meine Kinder bedeutend: Was tue ich für ihre Zukunft? Es ist sehr erfüllend, seine Sorgen in Taten umzusetzen und hier eine führende Rolle zu spielen. Das ist intensiv, aber ich muss mich nie selbst erinnern, warum ich das tue. Der Wechsel zu TenneT ist eine Entscheidung, die ich mit dem Herzen getroffen habe. Sie sprechen sich deutlich für Gleichberechtigung am Arbeitsplatz aus.
Wo steht TenneT hier?
Das Verhältnis von Mann zu Frau bei TenneT beträgt derzeit 78 zu 22. Es gibt also noch viel Raum für Verbesserungen. Aber es beginnt mit einer Vision: Ich glaube an Gleichheit und Chancengleichheit. Es geht nicht nur um Mann und Frau, sondern auch um ethnische Talente, Alter, kurz gesagt: Vielfalt. Sie ist auch besser für das Unternehmen: Je vielfältiger das Team, desto innovativer wird man als Unternehmen. Gleichstellung ist daher nicht nur eine Verantwortung, sondern auch eine große Chance für Business und Innovation.
Wie stellen Sie die Gleichstellung in der Praxis sicher?
So etwas ändert man nicht über Nacht. Frauen sind in einigen Bereichen vielleicht schwieriger zu fi nden, aber das sollte keine Entschuldigung sein. Wir haben derzeit ein internationales Traineeprogramm, bei dem 40 bis 45 Prozent Frauen sind. Gleichstellung ist also möglich, auch bei einem technischen Unternehmen wie TenneT. Man muss sich zudem fragen, wie die Belegschaft der Zukunft aussehen wird und welche Kompetenzen gefragt sind. Wir versuchen, uns sehr breit und international zu orientieren, auch im Hinblick auf ethnische Talente und Flüchtlingstalente. Noch immer steht viel Talent am Rande des Arbeitsmarktes. Als großes Unternehmen ist es eine Verpflichtung und Verantwortung, die Vielfalt zu gewährleisten. Gegen Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unehrlichkeit bin ich allergisch. Ich ärgere mich, wenn die Dinge nicht ehrlich sind.
Zum Schluss: Wohin geht die Reise von TenneT in den nächsten 20 Jahren?
Wie der Energiewandel verlaufen wird, ist nicht klar. Aber die Richtung steht fest: starkes Wachstum der Wind- und Solarenergie, kombiniert mit Power-to- Gas-Entwicklungen, mit denen man letztendlich auch die Industrie elektrisieren und saisonale Muster mit entsprechenden Speichermethoden ausgleichen kann. Flexibilität ist hier ein Schlüsselwort. Die Zeit wird zeigen, wie wir das umsetzen werden. Wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen den Niederlanden und Deutschland, zwischen den Netzbetreibern und der Industrie. Wir tun weiterhin, was wir am besten können und glauben dabei an die Stärke des Marktes.
Hendrike Oosterhof, DNHK
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