Politik
Energie

Deutschland gibt Gas bei der Energiewende

08.12.2021

Zuletzt stockte der Bau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen an Land. Nun aber soll es schnell gehen. Die neue Bundesregierung möchte bis 2030 rund 80 Prozent des Energiebedarfes mit Erneuerbaren decken. Das Bundeswirtschaftsministerium setzt auch auf Gas als Brückentechnologie. Ein Engpass aber könnte das Tempo bremsen.

Die neue Koalition legt sich fest: Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden. Die Wirtschafts- und Energiepolitik wird auf das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens ausgerichtet. Dafür müssen Bürger und Unternehmen ihre CO2-Emissionen drastisch reduzieren. Die grüne Strategie beinhaltet einen radikalen Aufbau von Solar- und Windenergie, den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft sowie Energieeffizienz durch Digitalisierung, Abwärmenutzung, Gebäudedämmung und Wärmepumpen. Da Deutschland zudem 2023 aus der Atomkraft und „idealerweise“ 2030 aus der Kohlenutzung aussteigt, wird die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Quellen das Rückgrat der Energiewende. Als Brückentechnologie kommen zunächst noch moderne Gaskraftwerke zum Einsatz, die H2-ready ausgerüstet später mit Wasserstoff betrieben werden.

Quadratur des Kreises oder machbar?

Die Ampelkoalition kalkuliert 2030 mit einem Bruttostrombedarf von 680 bis 750 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr. Damit liegt sie über den Schätzungen des Prognos-Institutes, die von 655 TWh ausgehen. Noch 2020 lag dieser Wert bei rund 545 TWh. Der neue Superminister für Wirtschaft und Klima, Robert Habeck, muss dann nämlich 15 Millionen Elektrofahrzeugen, für die er alleine 70 TWh benötigt, und über 5,5 Millionen Wärmepumpen mit 33 TWh Strombedarf versorgen. Zudem brauchen Stahlkocher und die Chemiebranche Wasserstoff, um von der Kohle ablassen zu können. Die Quadratur des Kreises scheint einfacher zu sein. Gleichwohl bescheinigen einige Studien, dass es theoretisch gelingen kann. Allerdings gibt es auch einen Flaschenhals, der diese Pläne gefährdet.

Bis zu 38 neue Windkraftanlagen pro Woche nötig

Der Bundesverband Erneuerbare Energien e.V. (BEE) skizziert in einer im April 2021 vorgelegten Studie „BEE Szenario 2030“, wie die ehrgeizigen Ziele zu erreichen sind. Die größten Effekte sieht der Verband im Ausbau der Photovoltaik und der Windkraftanlagen an Land. Bei Photovoltaik sei dafür jedes Jahr eine zusätzliche Leistung von 16 GW bis 2025 zu installieren*. Bis 2030 sei eine weitere Zunahme auf jährlich 20 GW pro Jahr notwendig. Zum Vergleich: 2021 bestanden nur 50 GW Leistung aus Photovoltaik in Deutschland, 2020 lag der Zubau bei lediglich 4,8 GW. Bei Windenergieanlagen müssten die Leistungen bis 2025 auf sieben GW und bis 2030 auf acht GW pro Jahr zunehmen. Der BDEW hat aus den Zahlen des Koalitionsvertrags errechnet, dass ein Bedarf von 100 bis 130 GW Windenergie an Land bis 2030 etwa einem Zubau von 25 bis 38 Windrädern pro Woche entspräche. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 gab es einen Zubau von acht Windrädern pro Woche. Für extrem ambitioniert hält der BDEW das Offshore-Ausbauziel von 30 GW. Allerdings werden diese Kapazitäten auch dringend gebraucht, um grünen Wasserstoff zu erzeugen. Das Schweizer Prognos-Institut kalkuliert bis 2030 mit 37 TWh Strom für grünen Wasserstoff, von denen jeweils 40 Prozent in Industrie und Energieerzeugung und 20 Prozent für sonstige Nutzung benötigt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es fast hoffnungslos, dass die Koalition die Elektrolyse-Kapazitäten für die Herstellung von grünem Wasserstoff auf zehn GW Leistung steigern möchte. Das entspräche dann etwa Wasserstoff aus 3,7 TWh Strom und damit nur zehn Prozent des geschätzten tatsächlichen Bedarfs. Um diesen zu decken, werden Unternehmen in großen Mengen Wasserstoff zukaufen oder weiterhin aus Erdgas produzieren müssen.

Planungsverfahren beschleunigen - aber Fachkräfte fehlen

Damit der rasante Ausbau der Photovoltaik- und Windkraft an Land gelingt, muss die Regierung an vielen Stellschrauben drehen. So will sie die Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigen. Aktuell können zwischen Planung und Bau einer Windanlagen mehrere Jahre liegen. Hier droht ein Konfliktpotenzial. Im Koalitionsvertrag wird daher auch das „Öffentliche Interesse“ und damit eine Vorrangstellung des Anlagenbaus vor dem Artenschutz und der Bürgerbeteiligung postuliert. Beim Artenschutz könnten UN-Verträgen dagegenstehen. Bei der Bürgerbeteiligung muss der Minister neben Anwohnern (not in my backyard) die Naturschutzverbände überzeugen. Aber selbst, wenn ihm dies in kurzer Zeit gelingt, zeigt sich ein anderer Engpass: Der Fachkräftemangel im Handwerk. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) meldete erst kürzlich, dass in den Betrieben heute schon mehrere Zehntausende qualifizierte Mitarbeiter fehlen. 2020 blieben laut ZDH 18.570 Lehrstellen im Handwerk unbesetzt - ein Anteil von 12,8 Prozent. Die zunehmende Akademisierung und die demografische Entwicklung werden diesen Mangel noch verschärfen.

Fazit: Viele Ideen und Geld aber zu wenig Manpower

Die Regierung meint es also ernst und auch die Unternehmen haben sich hierzulande auf diese rasante Energiewende eingestellt. Aber neben den Investitionen in Technologien werden sich Politik und Wirtschaft auch um die Fachkräftequalifizierung kümmern müssen. Dafür stehen ebenso gut gefüllte Fördermitteltöpfe bereit wie für Subventionen, die Unternehmen und Bürger über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für ihre Investitionen beantragen können. Ideen sind also vorhanden, und viel Geld steht bereit.

*Mit Gigawatt-Leistung wird die Strommenge angegeben, die eine Anlage in 24 Stunden produzieren kann. Eine Anlage mit 25 GW Leistung produziert also 25 Gigawattstunden (GWh) pro Tag. Eine Terrawattstunde (TWh) entspricht 1.000 GWh.

Text: Christian Gasche | DNHK

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