Quo vadis, Niederlande? Nach dem Sieg von Geert Wilders bei den Parlamentswahlen zeichnet sich ein langwieriger Regierungsbildungs-Prozess ab.
Denn auch wenn mehrere Parteien eine strengere Migrationspolitik wollen, erschweren viele andere PVV-Forderungen die Suche nach Regierungspartnern. Die VVD hat bereits angekündigt, nicht mitregieren zu wollen.
Das „Erdbeben“ und der „Schock“, den viele nationale und internationale Medien nach den niederländischen Parlamentswahlen und dem klaren Sieg der PVV unter Geert Wilders, rauf und runterschrieben, ist inzwischen vorbei. Und in Den Haag wird an der Regierungsbildung gearbeitet. Der Sondierer, im Niederländischen „verkenner“ genannt und nicht dem politischen Tagesgeschäft angehörend, hat die Arbeit aufgenommen und spricht mit allen Fraktionsvorsitzenden. Mit verschiedenen Koalitionsmöglichkeiten als Grundlage wägt der Sondierer ab, welche Koalition am ehesten Erfolg haben könnte und unterrichtet die Zweite Kammer über seine Erkenntnisse.
Regierungsabsage von VVD
Der erste „Verkenner“ ist allerdings schon wieder aus dem Amt: Der von Wilders vorgeschlagene Sondierer Gom van Strien musste bereits nach drei Tagen wegen Betrugsvorwürfen zurücktreten. Neuer Sondierer ist, ebenfalls auf Vorschlag von Wilders, Ronald Plasterk. Er soll, so ist der Plan, am 7. Dezember seinen Bericht im Parlament vorstellen.
Doch nicht nur die Berufung des Sondierers sorgte für einen suboptimalen Start der Kabinettsbildung. Auch der erste, von Wilders favorisierte Koalitionspartner hat angekündigt, nicht Teil der Regierung sein zu wollen: Die bisherige, rechtsliberale Regierungspartei VVD wird eine Regierung von PVV zwar dulden, aber nachdem die Partei zehn Sitze verloren hatte, findet VVD-Vorsitzende Dilan Yesilgöz: „Für die VVD gilt nach 13 Jahren und mit diesem Wahlergebnis, dass eine andere Rolle zu uns passt.“ Heißt: Konstruktive Opposition statt Regierung. Innerhalb der VVD sorgt diese Auffassung und die Absage an Wilders jedoch für reichlich Diskussion. Denn immerhin habe man 24 Sitze und 16% der Stimmen geholt, hieß es auf einem Parteitag in Utrecht gestern. Und es gäbe dementsprechend 1,5 Millionen Wähler, die sich eine neue Regierungsbeteiligung der VVD wünschten.
Pieter Omtzigt veröffentlicht Fragen
Wilders, dessen PVV 37 Sitze geholt hatte (+20), hatte offen große Sympathie für eine Zentrum-Rechts-Regierungskoalition aus PVV, VVD, der Bauern-Bürger Bewegung BBB und der erst im August vom ehemaligen CDA-Politiker Pieter Omtzigt gegründeten Partei „Neuer Gesellschaftsvertrag“ (NSC) deutlich gemacht. Doch neben der VVD scheint auch NSC nicht mitzuspielen: NSC-Chef Omtzigt legte Sondierer Ronald Plasterk einen Zettel mit Fragen vor: Bevor seine Partei mit der PVV über ein Kabinett verhandle, wolle er erst noch sicherstellen, dass alle möglichen Koalitionspartner ohne Wenn und Aber hinter der niederländischen Gesetzgebung und auch hinter allen international geschlossenen Verträgen stehen. Und deutete damit indirekt auf Wilder's Wahlprogramm hin, das ein Referendum über den Austritt aus der EU, einen „Nexit“, beinhaltet. Darauf reagierte Wilders in einem Tweed auf X mit den Worten: „Wenn du Fragen hast, dann komm an den Verhandlungstisch, Pieter.“
BBB will an den Verhandlungstisch
BBB-Chefin Caroline van der Plas, die als einzige der gewünschten Koalitionspartner noch am Wahlabend ankündigte, für Gespräche mit der PVV offen zu stehen, forderte VVD und NSC auf, sich mit PVV und BBB zusammenzusetzen. Demnach hätten die Niederlande bei den Wahlen ein klares Signal gesendet, „mit einer Mehrheit für ein Mitte-Rechts-Kabinett“ , so van der Plas. Ob daraus letztendlich Koalitionsgespräche würden, sei eine Sache, „aber ich finde es bizarr, dass die Parteien nicht einmal miteinander reden.“ Die Beteiligten sollten aufhören, sich gegenseitig über Social Media anzusprechen: „Wenn man auf Twitter miteinander reden kann, kann man auch am Tisch miteinander sprechen.“ Die BBB hatte 7 Sitze geholt, das sind sechs Sitze mehr als zuvor. Für eine Mehrheitsregierung braucht Wilders mehr als 76 Sitze.
Erste Ergebnisse am 7. Dezember erwartet
Es bleibt darum spannend, welche Vorschläge der Sondierer Ende nächster Woche im Abgeordnetenhaus machen wird. Danach folgen zwei weitere Schritte bis zur neuen Regierungsbildung: Ein oder mehrere „Informateure“ werden vom Parlament damit beauftragt, eine bestimmte Koalition zu untersuchen und die Verhandlungen zwischen den beteiligten Parteien zu begleiten. Scheitern die Verhandlungen, kann die Abgeordnetenkammer denselben Informateur oder einen anderen Informateur mit der Untersuchung einer anderen Koalition beauftragen. Wenn die Verhandlungen erfolgreich verlaufen, führt dies schließlich zu einem Koalitionsvertrag inklusive der Zuordnung, welche Partei welche Ressorts mit welchen Politikern besetzen wird.
Sobald der Koalitionsvertrag ausgearbeitet und die Ressorts verteilt sind, beginnt der „Formateur“: Meist ist das der Chef der größten Koalitionspartei und damit der wahrscheinlich zukünftige Ministerpräsident. Als Regierungsbilder fragt der Formateur die Kandidaten der Parteien förmlich, ob sie dem neuen Kabinett beitreten wollen.
Beim letzten Kabinett unter Mark Rutte, das vor den Sommerferien vorzeitig zerbrochen war, hatte die Regierungsbildung 10 Monate gedauert.
Text: Janine Damm