Mobilität

Unterwegs in die Zukunft

08.07.2020

Autos, Busse und Laster, die kein CO2 ausstoßen. Staufreie, aber erreichbare Innenstädte, mehr Komfort und Lebensqualität – das ist die Vision für Mobilität der Zukunft. Deutschland und die Niederlande setzen hier unterschiedliche innovative Schwerpunkte. Und gerade dies bringt Riesenchancen für grenzübergreifende Zusammenarbeit.

Von außen wirkt der wasserblau lackierte Regionalzug, der Anfang März 2020 in den Groninger Bahnhof einrollt, eher unscheinbar. Und doch steht die niederländische Ministerin für Infrastruktur Cora van Nieuwenhuizen auf dem Bahnsteig, um ihn zu begrüßen: den ersten Wasserstoffzug der Niederlande. Betankt mit gasförmigen Wasserstoff, schafft er bis zu 140 Stundenkilometer und stößt dabei nur Wasserdampf aus. Eine Technik, die in Zukunft möglicherweise alle umweltschädlichen Dieselzüge ersetzen könnte, die derzeit noch in der Region Groningen unterwegs sind. Der neue Wasserstoffzug ist ein Beispiel für den deutsch-niederländischen Austausch auf dem Gebiet von green und smart Mobility. Denn das Fahrzeug kommt aus Deutschland. Dort sind bereits seit Jahren Wasserstoffzüge auf der Schiene unterwegs –  vor allem auf wenig befahrenen Regionalstrecken, wo der Bau von Oberleitungen zu teuer wäre, um die alten Dieselstrecken zu elektrifizieren.

„Der Klimawandel braucht grenzüberschreitende Lösungen für die Verkehrsprobleme heute und in der Zukunft“, sagt Floris Beemster, Geschäftsleiter bei der Beratungsfirma APPM. Zusammen mit Rebel Group hat APPM im Auftrag der staatlichen niederländischen Serviceagentur für Unternehmen (RVO) in einer Marktstudie untersucht, welche Chancen es für Unternehmer in Deutschland und den Niederlanden gibt, um auf dem Gebiet der klimafreundlichen Mobilität zusammenzuarbeiten. „In Deutschland tut sich gerade sehr viel wegen der Verkehrswende, da gibt es auch für niederländische Firmen gute Möglichkeiten mitzumischen.“

Das Thema Wasserstoff als alternativer Treibstoff etwa wird in Deutschland auf politischer Ebene stark vorangetrieben. Das von der EU und der Bundesregierung geförderte Joint Venture H2mobility, bei dem neben deutschen Großunternehmen auch Shell aus den Niederlanden beteiligt ist, plant etwa ein Tankstellennetz für Autos. Das Ziel für Ende 2020 sind bundesweit 100 Wasserstofftankstellen. Auf beiden Seiten der Grenze gibt es zudem Testprojekte für Autos mit Wasserstoffantrieb.

Floris Beemster sieht mit Blick auf den künftigen Energiemix die Vorteile von Wasserstoff vor allem im Bereich „Heavy Duty“, also als Treibstoff bei Bussen, Lastkraftwagen, Eisenbahnen und im ÖPNV. Vieles ist zur Zeit noch in der Pilotphase, auch grenzübergreifend. So hat die niederländische Unternehmensgruppe VDL zwei unterschiedliche Wasserstoff-Lkw gebaut, die zur Zeit in Belgien und den Niederlanden und später auch in Deutschland probeweise eingesetzt werden. Die transportable Tankstelle dazu stammt von der deutschen Firma Wystrach.

„Richtig Fahrt nimmt in Deutschland gerade das Thema Elektromobilität auf“, sagt Beemster. Denn durch die politisch vorangetriebene Verkehrswende gibt es viele Fördermöglichkeiten und Entwicklungen. Bis Ende 2020 sollen bundesweit etwa 70.000 neue Ladestationen entstehen, bis 2030 eine Million, darunter auch Schnellladestationen entlang der Autobahnen. Auch die Industrie bewegt sich mehr denn je. Deutsche Automobilkonzerne haben neue E-Autos angekündigt. „Wenn diese Modelle da sind, geht's richtig los“, erwartet Beemster.

In Deutschland schaut man beim Thema Ladeinfrastruktur besonders häufig in die Niederlande. Denn das Land hat eine weltweite Vorreiterrolle. Bereits jetzt gibt es dort ein weitgehend flächendeckendes Netz von Ladepunkten und viel Wissen über deren strategische Platzierung und Umsetzung. In den vergangenen Jahren fanden darum viele Delegationsreisen statt, etwa zwischen Städten wie Amsterdam und Berlin, Utrecht und Stuttgart oder zwischen der Provinz Noord-Brabant und dem Land Baden-Württemberg. Entscheidungsträger und Firmen konnten so Kontakte knüpfen und Wissen austauschen. Auch verkaufen niederländische Firmen wie Fastned, Ecotap und Allegro ihre Ladesäulen nach Deutschland. Die niederländische Wissensplattform Elaad erforscht und testet darüber hinaus in einem EU-geförderten Projekt die Möglichkeiten von „smart charging“. Dabei geht es darum, Sonnenstrom optimal für das Laden von E-Autos zu nutzen. Zum Beispiel durch Ladesäulen, die bei Energiespitzen Strom unterirdisch speichern und nur bei Bedarf an das E-Auto abgeben.

Nicht nur beim Antrieb tut sich viel. Auch das Thema autonomes und vernetztes Fahren bringt Chancen für noch mehr deutsch-niederländische Zusammenarbeit, sagt Floris Beemster von APPM. „Überall in Deutschland und in den Niederlanden gibt es Testfelder für selbstfahrende Autos. Wir stecken zwar noch in der Anfangsphase, aber es lohnt sich beiderseits der Grenze zu schauen, welche Produkte sich eventuell verknüpfen lassen.“ Für die deutsche Autoindustrie ist dabei insbesondere die niederländische Expertise im Bereich Auto-Software oder Kartendienste relevant, sagt Stefan Di Bitonto, Automobilindustrieexperte bei Germany Trade and Invest (GTAI). „Da gibt‘s die große Firma TomTom, die für den Online-Geodatendienst Here, der im Wesentlichen der deutschen Automobilindustrie gehört, sicher interessant ist. Denn je mehr Nutzer man insgesamt zur Verfügung hat, desto präziser werden die Daten von Karten, Staumeldern, Warnmeldungen und Baustelleninfos.“ Aber auch große und kleine niederländische Elektronikfirmen im Bereich „automotive electronics“, die Steuergeräte für selbstfahrende und vernetzte Autos programmieren oder herstellen, könnten in der deutschen Automobilindustrie einen Partner finden, wenn das Produkt stimme.

Auch die zahlreichen Handelsmissionen des niederländischen Königs seit 2013 in deutsche Bundesländer haben der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beim Thema klimafreundliche Mobilität einen Schub gegeben. „Unternehmen wie der Halbleiterhersteller NXP oder TNO als Organisation für Angewandte Wissenschaft konnten ihre Initiativen in Deutschland verstärken", sagt Mieden-Appelboom, Leiterin der Wirtschaftsabteilung am Generalkonsulat der Niederlande in München. Neue Player, wie der Energieversorgungskonzern Eneco, hätten sich angeschlossen.

„Viele deutsch-niederländische Kooperationen im Bereich smart und green Mobility haben sich zudem aus den ,Partners in International Business'-Programmen ergeben“, sagt Linda Mieden-Appelboom. Diese von der niederländischen Serviceagentur für Unternehmen (RVO) aufgelegten PIB-Programme laufen über drei Jahre und bringen in öffentlich-privaten Partnerschaften Behörden, Unternehmer und Forschungseinrichtungen zusammen. „Unternehmer profitieren von den Kontakten, die sie dabei auftun“, sagt Mieden-Appelboom.

So hat zum Beispiel die Beratungsfirma APPM als Konsequenz einer PIB-Teilnahme eine Niederlassung in Deutschland gegründet. Und Elaad berät mittlerweile auch in Deutschland Städte, Stadtwerke oder Netzbetreiber, die ein Ladenetz aufbauen wollen. Außerdem sind sie beim Thema E-Clearing und Interoperabilität in Deutschland aktiv. Dabei geht es auch um einen gemeinsamen Ladestandard, sodass künftig E-Autofahrer aus den Niederlanden ihr Auto auch an Ladesäulen in Deutschland anschließen können und umgekehrt. Es zeigt sich: Niederlande und Deutschland fahren zusammen gut.

 

Text: Julia Schneider

Verwandte Nachrichten

20.07.2022
DNHK-Netzwerk
Mobilität

Ein nachhaltiger und effizienter Kurierdienst

22.02.2022
Mobilität

Ladeinfrastruktur für E-Mobilität in Deutschland nimmt Fahrt auf