Nicht nur bei der Markterschließung und Expansion im Nachbarland steht die Deutsch-Niederländische Handelskammer (DNHK) Unternehmen mit Rat und Tat zur Seite. Für auch völlig festgefahrene Situationen gibt es eine Lösung: Das DNHK-Schiedsgericht hilft als Vermittler bei Konflikten zwischen deutschen und niederländischen Unternehmen.
Wann lohnt es sich, das DNHK-Schiedsgericht einzuschalten? Was sind die Vorteile gegenüber einem Gang vor Gericht? Und wie können Unternehmen bereits im Vorfeld Konflikte vermeiden? Im Interview beantwortet Dr. Axel Hagedorn, langjähriger Vorsitzender des DNHK-Schiedsgerichts, diese Fragen.
Sie sind seit mehr als zehn Jahren Schiedsrichter am DNHK-Schiedsgericht. Gibt es einen bestimmten Auslöser, der auffällig oft Anlass für Konflikte ist, oder eine bestimmte Branche, in der es besonders häufig Streit zwischen deutschen und niederländischen Geschäftspartnern gibt?
Dr. Axel Hagedorn: Streit gibt es in jeder Branche. Und es gibt meiner Erfahrung nach keine bestimmte Branche, in der es signifikant öfter zu Rechtstreitigkeiten kommt. Es gibt allerdings einen Fall, der mir sehr stark in Erinnerung geblieben ist und exemplarisch für das steht, was ein Schiedsgericht leisten kann. Dieser Fall betraf eine fehlgeschlagene deutsch-niederländische Übernahme mit gegenseitigen Schadensersatzforderungen und persönlichen Vorwürfen. Die Parteien waren derart zerstritten, dass eine gütliche Einigung völlig aussichtslos erschien. Zu ihrem Glück hatten die Parteien eine Schiedsgerichtsklausel vereinbart. Allerdings begann das Verfahren sehr mühevoll, da sich eine Partei ins außereuropäische Ausland abgesetzt hatte und damit die Zustellungen enorm erschwert wurden. Dennoch kam es nach eineinhalb Jahren zur Verhandlung, bei der beide Parteien anwesend waren. Und es gelang uns, beide Parteien davon zu überzeugen, dass ihre jeweilige Rechtsposition keine Aussicht auf Erfolg hatte. Nach einer Sitzung von lediglich einem Tag gelang es, die beiden Streitparteien zu einer gütlichen Einigung zu bringen und den Vergleich auch sofort schriftlich festzulegen. Besonders dabei war nicht nur, dass es zu einer Einigung kam, mit der beide Seiten zufrieden waren, sondern auch dass sich beide Parteien anschließend beim Schiedsgericht für die gute Verhandlungsführung und das erreichte Ergebnis bedankt haben. Dies war eine Art Ritterschlag von anfänglich unglaublich zerstrittenen Parteien.
Wie kam es denn überhaupt so weit, dass beide Unternehmen sich so verfeindet gegenüber standen?
Sprach- und Kulturkenntnisse haben in dem Verfahren eine sehr große Rolle gespielt – und das tun sie übrigens häufig. Anlass für juristische Streitigkeiten sind oft undeutliche vertragliche Formulierungen sowie fehlgeschlagene Erwartungen, mit oder ohne Grundlage und Substanz.
Können Sie ein bisschen mehr über die Sprach- und Kulturunterschiede mit Konfliktpotenzial erzählen?
Bei deutschen oder niederländischen Übernahmen kommt es auf Grund der Verhandlungsweisen häufig zu Missverständnissen, und die sind kulturell bedingt. In Verhandlungen sind z.B. niederländische Geschäftspartner eher geneigt, problematische Punkte für später zu bewahren. Anders als der deutsche Geschäftspartner, denkt der niederländische eher: „Das wird dann schon“. In Verhandlungen später immer wieder neue Punkte einzubringen („nakaarten“), dafür sind niederländische Geschäftspartner bekannt. Zudem hat der Grundsatz von Redlichkeit und Billigkeit im niederländischen Recht auch eine viel weitreichendere Bedeutung als der - vermeintlich vergleichbare - deutsche Grundsatz von Treu und Glauben im deutschen Zivilrecht. Redlichkeit und Billigkeit gilt überall, während Treu und Glauben ein Notanker ist, um völlig unakzeptable Ergebnisse zu vermeiden. Und als letztes Beispiel: Niederländer richten sich bei Verhandlungen stark auf die Person, weil davon ausgegangen wird, dass bei einer guten Beziehung die Verhandlungen besser verlaufen. Bei deutschen Gesprächspartnern führt dieser Fokus immer wieder zu Irritationen, weil der Inhalt im Vordergrund steht.
Des Weiteren wird gerade im Unternehmensbereich vielfach zunächst rein kommerziell ohne Juristen verhandelt. Erst hinterher sollen dann Juristen formulieren, was vorher nicht gut durchdacht war. Wenn dann Vereinbarungen nicht oder zu schwammig im Vertrag formuliert wurden und Interpretationsraum gegeben ist, wird dies häufig im Streitfall genutzt. Das Vorurteil, Juristen würden Verhandlungen unnötig komplizieren, ist leider weit verbreitet. Die Juristen müssen später versuchen, Punkte auf Papier zu bekommen, die in den Verhandlungen aber nicht ausreichend besprochen wurden. Solche undeutlichen Punkte führen später oft zum Streit. Vergessen wird hierbei auch, dass Formulierungen, die mit Goodwill für die beteiligten Verhandlungspartner verständlich sind, später auch genauso ausgelegt werden müssen. Auch bei den Streitparteien werden Verträge im Nachhinein immer wieder anders gelesen. Und so entstehen dann verhärtete Fronten.
Wie lautet denn dann Ihr Tipp, um Konflikte bereits im Vorfeld zu vermeiden?
Ich bin treuer Verfechter zweier Ausgangspunkte. Erstens: Schalte frühzeitig Juristen ein, damit nicht später repariert werden muss, was zu vermeiden gewesen wäre. Und zweitens: Verträge sollten so formuliert werden, dass nicht nur sehr juristisch geschulte Personen den Inhalt begreifen können. Gerade bei Verträgen nach fremdem Recht ist die Verständlichkeit der Verträge noch wichtiger. Und oftmals ist es darum wenig förderlich, dass Verträge in Englisch sind – der vermeintlich gedachte neutrale Mittelweg entpuppt sich oft als zusätzlicher Zündstoff. Weiterer Tipp: Unbedingt eine Schiedsgerichtsklausel aufnehmen. Das spart Kosten, ist vertraulich und in der Regel schneller.
Wie lange hätte denn der zu Beginn angesprochene Streit vor einem normalen Gericht bis zur Urteilsverkündung gedauert und inwiefern wäre er anders ausgegangen?
Allein in der ersten Instanz hätte es mindestens zwei Jahre gedauert, und der ganze Fall, womöglich über drei Instanzen, sicherlich fünf oder mehr Jahre bis zum abschließenden Urteil. Wir beobachten den Trend, dass Gerichtsverfahren immer teurer werden und auch gerne von einer Partei hinausgezögert werden. Dahinter steckt das Kalkül, dass die andere Streitpartei hoffentlich keinen langen Atem oder kein finanzielles Polster hat und aufgibt. Die meisten mittelständischen Unternehmen haben aber keine prall gefüllte Streitkasse und wollen zudem auch nicht wegen juristischer Streitigkeiten in den (sozialen) Medien erscheinen. Und die Gefahr, dass der Streit in den Massenmedien landet ist gegeben: Denn die Verhandlungen vor Gericht sind öffentlich und daher auch für die Presse zugänglich – das Schiedsgericht hingegen ist vertraulich. Diese Vertraulichkeit ist ein enorm wichtiges Gut.
Sind das die wichtigsten Vorteile eines Schiedsgerichts?
Dass beide Streitparteien dem Schiedsgericht vertrauen, ist sicher wichtig. Dazu kommen die Schiedsrichter aus der unternehmerischen Praxis. Und dass der Streit viel schneller, einfacher und kostengünstiger beigelegt ist. Eine einzige Sitzung und der Konflikt kann innerhalb eines Jahres gelöst sein, wenn keine aufwendigen Beweisaufnahmen nötig sind. Und in Berufung zu gehen, ist beim Schiedsgericht der DNHK nicht möglich. Was vielen nicht bewusst ist: Der Zugang zum Schiedsgericht kann auch noch nachträglich, z.B. erst beim Auftreten des Streitfalles, vereinbart werden.
Und was zeichnet das DNHK-Schiedsgericht aus?
Das DNHK-Schiedsgericht hat einen absoluten Mehrwert! Die Schiedsrichter verfügen nicht nur über die Kenntnisse von beiden Rechtsgebieten, sondern auch über die nötigen Sprach- und Kulturkenntnisse. Sie können Missverständnisse aufklären, die bei englischer Sprache häufig auftreten, und - ganz salopp gesagt - Animositäten begreifen. Durch die Zweisprachigkeit sind sie in der Lage, gut zuzuhören und mit den Streitparteien auf Augenhöhe zu sprechen – wodurch sich die Streitparteien gehört und verstanden fühlen, was ein ganz großer Pluspunkt ist und hilft, einen Konflikt zur Zufriedenstellung aller zu lösen. Gerade für mittelständische Unternehmen ist das Schiedsgericht der DNHK eine gute Option.
Infos zu Dr. Axel Hagedorn:
Dr. Axel Hagedorn hat 35 Jahre als deutscher Rechtsanwalt und davon 25 Jahre auch als niederländischer Advocaat gearbeitet. Dr. Hagedorn war zehn Jahre lang Vorsitzender der deutsch-niederländischen Rechtsanwaltsvereinigung und von 2014 bis 2017 Professor für deutsch-niederländische Rechtsbeziehungen an der Universität van Amsterdam. Er ist Mitverfasser des Standardwerkes „Niederländisches Wirtschaftsrecht“, das in der dfv Mediengruppe erschienen ist. Dr. Hagedorn hat die Ausbildung zum Mediator beim Niederländischen Mediations Institut absolviert.
Interview: Janine Damm