2021 wurden in Deutschland rund 350.000 Battery Electric Vehicle (BEV) neu zugelassen. Damit stieg ihr Marktanteil bei allen Neuzulassungen von 6,7 auf 13,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur holt parallel auf. In den Städten entstehen 2022 tausende neue Ladepunkte. Niederländischen Unternehmen spielen hierbei eine wichtige Rolle.
Anfang 2022 meldete das Kraftfahrtbundesamt (KBA): 42,9 Prozent aller Pkw-Neuzulassungen in Deutschland waren 2021 mit alternativen Antrieben ausgestattet. Das war ein Anstieg um 70,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mehr als ein Viertel aller Neuwagen verfügt über einen Elektroantrieb (BEV, Plug-In-Hybride und Brennstoffzelle). Ein Plus von 92,6 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum. Dank der staatlichen Förderung beim Neukauf von BEV und Plug-in-Hybriden wird der Trend 2022 anhalten. Das Center of Automotive Management (CAM) rechnet mit 450.000 Neuzulassungen alleine von BEV in 2022.
Ausbau der Ladeinfrastruktur hinkt hinterher
Bei diesem rasanten Anstieg im E-Fahrzeugbestand ist es kein Wunder, dass der Verband der Automobilindustrie im Dezember 2021 Alarm schlug: Während pro Monat rund 55.000 E-Pkw, gemeint sind hier sowohl BEV als auch Plug-in-Hybride, in Deutschland neu zugelassen würden, wüchse die Anzahl der öffentlich zugänglichen Ladepunkte wöchentlich nur um etwa 250, schrieb der VDA in seiner Stellungnahme. Tatsächlich würden aber rechnerisch rund 2.000 neue Ladepunkte pro Woche benötigt und damit in etwa eine Verachtfachung der Ausbaugeschwindigkeit.
440.000 öffentliche Ladepunkte bis 2030 nötig
Bei aller berechtigten Kritik am Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur: Unterschiedliche Zahlen, Zählweisen und einige Variablen machen es zurzeit fast unmöglich, ein klares Bild der Lage zu zeichnen. Fakt ist, dass die Bundesnetzagentur im Januar 2022 exakt 44.486 Normalladepunkte und 7.717 Schnellladepunkte verzeichnete. Damit steht Deutschland im europäischen Vergleich auf Platz zwölf des VDA Ladenetz-Rankings, das von den Niederlanden mit über 82.000 Ladepunkten angeführt wird.
Deutschland holt bei privaten Ladestationen auf
Aber Deutschland holt auf. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) förderte bis Ende 2021 über 800.000 private Wallboxen (an einer Mauer befestigte Ladestation). Aktuell nutzen diese Ladepunkte knapp eine Millionen BEV und Plug-in-Hybride.
Mangel an öffentlichen Ladestationen
Die Herausforderung ist aber, dass die Fahrer von E-Fahrzeugen zurecht erwarten, dass ihre Mobilität überall im Land und auch auf langen Reisen gewährleistet ist. Wie dieses Ziel bei einem weiterhin rasanten Anstieg bei den Neuzulassungen der E-Autos erreicht werden soll, hat die Studie „Ladeinfrastruktur nach 2025/2030: Szenarien für den Markthochlauf“ im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ermittelt.
2030: Erwarteter Bedarf zwischen 440.000 und 843.000 Ladepunkte
Ausgehend von den Planungen der Automobilhersteller und der aktuellen Marktentwicklung ist es demnach realistisch, dass Ende 2030 rund 15 Millionen E-Fahrzeuge, davon rund 10 Millionen BEV, hierzulande fahren werden. Abhängig davon, welche Ladetechnik diese Fahrzeuge beherrschten, schätzen die Experten den Bedarf zwischen mindestens 440.000 bis zu 843.000 öffentlich zugängliche Ladepunkten ein. Je langsamer der Aufbau von privater Ladeinfrastruktur geschieht, desto höher sei der Bedarf an öffentlichen Ladepunkten. Würden künftig vor allem Schnellladepunkte bereitstehen, seien lediglich 440.000 öffentlichen Ladesäulen zu errichten.
Offene Fragen: Technikentwicklung und Verbraucherverhalten
Im Grunde laborieren aktuelle Studien, Forderungen von Verbänden und Berechnungen der Verwaltungen mit einer Vielzahl von offenen Fragen. Die meisten älteren E-Fahrzeuge brauchen noch einige Stunden, bis sie aufgeladen sind. Bei ihnen bedeutet schnellladen, dass ihre Batterien mit zwölf bis 20 Kilowattstunden laden. Aber das Batteriemanagement sowie Wetter und Temperaturen entscheiden, wie schnell jeweils der Strom fließen darf. Nur wenige E-Autos beherrschen bisher das High Power Charging (HPC), mit der die Batterien mit bis zu 350 Kilowatt Leistung geladen werden können. Mit HPC sind selbst große Batterien mit 100 Kilowattstunden Kapazität in unter 30 Minuten aufgeladen. Allerdings auch das nur unter Idealbedingungen.
Ladeinfrastruktur in Städten entscheidend für Erfolg der E-Mobilität
Je schneller E-Autos laden können, desto weniger Ladepunkte braucht also die nationale Gesamtflotte. Vermutlich wird sich HPC sowohl bei den Herstellern als auch bei Käufern von E-Autos durchsetzen. Denn neben der Reichweite ist vor allem das schnelle Laden ein entscheidender Faktor für die Umstieg auf E-Mobilität. Der Flaschenhals wird sein, ob und wie schnell neben den Autobahnen Ladestationen auch in urbanen Räumen installiert werden können. Vor allem dort entscheidet die Ladeinfrastruktur über den Erfolg der E-Mobilität. Denn in den Städten leben über 77 Prozent der Menschen. Und die Mehrheit (58 Prozent) der Bürger wohnt zur Miete und kann in der Regel bisher keine Wallbox installieren.
Ladeinfrastruktur an Autobahnen, in Metropolen und Supermärkten
Angesichts klammer Kassen werden die Kommunal- und Landespolitiker nicht genug Geld aufbringen können, um die nötigen Ladepunkte in kurzer Zeit aufzubauen. Aber Ladeinfrastruktur ist mittlerweile ein lukratives Geschäftsmodell, das neben den Energiedienstleistern, Wohnungsbaugesellschaften und kommunalen Stadtwerken nun immer mehr Unternehmen für sich erschließen. Deshalb könnte es in den nächsten Jahren schneller gehen als gedacht, die erforderliche Ladeinfrastruktur parallel zu den Neuzulassungen von BEV aufzubauen.
Niederländische Initiativen
Ein Beispiel ist das niederländische Unternehmen Allego, das europaweit bereits 25.000 Ladestationen unterhält. Es war maßgeblich im Projekt MEGA-E engagiert, das seit 2018 mit finanzieller Unterstützung der Connecting Europe Facility (CEF) der Europäischen Kommission gestartet wurde. MEGA-E steht für Metropolitan Greater Areas Electrified und installierte ein Netzwerk von 202 Schnellladestationen in zwölf europäischen Metropolen an jeweils strategisch idealen Standorten. So steht beispielsweise eine bei Van der Valk in Eindhoven aufgebaute Schnellladestationen in der Nähe der Autobahn A2/A67 und am Rande der Innenstadt, unweit eines Konferenzzentrums und eines Hotels. Die Nutzer sind daher nicht nur Niederländer, sondern Reisende aus ganz Europa.
Ende 2021 gab Allego bekannt, dass das Unternehmen mit der Supermarktkette REWE an rund 100 Supermärkten in Deutschlands Norden jeweils einen Hypercharger mit je zwei Ladepunkten mit jeweils 150 Kilowatt Ladeleistung errichten wird. An allen Standorten garantiert Allego eine Versorgung mit 100 Prozent Ökostrom. Allego ist nur ein Beispiel aus den Niederladen, neben weiteren, die auf den deutschen Markt drängen.
Lösungen für urbane Zentren
Auch ubitricity Gesellschaft für verteilte Energiesysteme mbH trägt niederländische Gene. Denn sie gehört zu der Shell Group, die europaweit 250.000 Ladestationen unterhält. Die bereits 2008 gegründete ubitricity will in kleinteiligen und engen urbanen Räumen für die flächendeckende Etablierung von Ladesäulen sorgen. Die Entwickler haben speziell für den deutschen, den britischen und den französischen Markt Ladesäulen entwickelt, die sich in Straßenlaternen integrieren lassen.
Diese Lösungen sind vor allem für Stadtmenschen interessant, die in einem Mehrparteienhaus wohnen, für die E-Mobilität bisher nicht zu realisieren war. In den meist engbebauten Straßen ist der Parkraum für den ruhenden Verkehr schon heute viel zu knapp geworden. In Straßenlaternen kann das Modell „Heinz“ von ubitricity je nach verfügbaren Leitungskapazitäten der örtlichen Stromnetze somit schnell flächendeckend eingesetzt werden. Dass dies in Metropolen möglich ist, hat ubitricity bewiesen. Alleine im Großraum London betreib es über 3.600 Laternenladestationen, in ganz Großbritannien sind es über 4.600. In Deutschland steht ubitricity zwar noch in den Startlöchern. Aber wenn die großen Städte die Chancen ergreifen, kann es schnell gehen.
Fazit: Vielleicht geht es jetzt viel schneller
In der Tat hat der Verkaufsboom der BEV seit 2020 auch viele Kommunalpolitiker elektrisiert. Googelt man „Ladeinfrastruktur“ in Verbindung mit einer beliebigen deutschen Großstadt, kommt man aus dem Staunen kaum raus. Jede Großstadt plant, noch dieses Jahr hunderte öffentliche Ladepunkte zu errichten. Viele kommunale Wohnungsbaugesellschaften planen große Wohnanlagen mit Ladeinfrastruktur. Die Netzbetreiber und Energiedienstleister investieren ebenfalls in den Ausbau ihrer Ladenetze. Viele Unternehmen kooperieren mit großen Anbietern wie EON, um betriebliche Ladeinfrastruktur aufzubauen. Daher gibt es Grund zu der Hoffnung, dass es in Deutschland nun mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur viel schneller gehen könnte als bisher.
Text: Christian Gasche