Die niederländische Wirtschaft ist gut in Schwung. Die Unternehmen haben ihre Finanzlage in den letzten Jahren so weit gestärkt, dass sie einer Rezession standhalten können.
Nirgendwo in der Eurozone ist der Kassenbestand mit 37,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts so hoch. Zum Vergleich: In Deutschland, wo der Unternehmenssektor sehr stark ist, liegt er bei knapp über 20 Prozent.
Dies geht aus einer Umfrage von Freshfields Bruckhaus Deringer hervor. Die internationale Anwaltskanzlei stützte sich dabei u.a. auf öffentliche Daten der nationalen Zentralbanken, der Europäischen Zentralbank und des europäischen Statistikamtes Eurostat.
Rekordbetrag
In den Niederlanden verfügten börsennotierte und nicht börsennotierte Unternehmen im September über Barmittel und (Bank-)Guthaben in Höhe von 341 Milliarden Euro. In Frankreich, Deutschland und Italien waren es 854 Mrd., 765 Mrd. bzw. 446 Mrd. Euro. In der gesamten Eurozone wurde in diesem Herbst eine Rekordsumme von nicht weniger als 3.369 Mrd. Euro ausgegeben.
Die Niederlande verdanken ihre relativ starke Position zum Teil der Präsenz zahlreicher Finanzholdinggesellschaften. Aber dieser Effekt ist nicht so groß, sagt Dirk-Jan Smit, Managing Partner von Freshfields in den Niederlanden. Luxemburg und Irland haben auch viele Finanzunternehmen, aber sie gehören nicht zu den besten Ländern. Bereits 2019 stellte die De Nederlandsche Bank fest, dass mindestens die Hälfte des Sparüberschusses in den Niederlanden auf KMU entfällt.
Corona-Milliarden
In den Coronajahren 2020 und 2021 konnten die Unternehmen in der Eurozone weiter zulegen. Damals wuchs ihre Finanzlage um bis zu 700 Mrd. Euro, während sie in den Jahren davor kaum um 150 Mrd. Euro jährlich zunahm. Die Unternehmen bauten größere Puffer auf, um sich gegen den durch den Ausbruch des Corona-Virus im Februar 2020 verursachten Wirtschaftsabschwung abzusichern. Auch die Kreditaufnahme war zu dieser Zeit aufgrund der niedrigen Zinsen sehr günstig.
Letztendlich war der wirtschaftliche Schaden durch die Corona-Pandemie nicht allzu groß, was zum Teil auf die umfangreichen wirtschaftlichen Unterstützungspakete der Regierung zurückzuführen ist. Ein Teil dieser Unterstützung verzerrt übrigens die aktuelle Situation bei den Aufzeichnungspuffern. So haben die Unternehmen beispielsweise Geld gehortet, weil ihnen auf dem Höhepunkt der Corona-Krise Steuerstundungen gewährt wurden.
Jetzt droht wieder Ungemach durch die hohe Inflation, die durch den Krieg in der Ukraine verursachte Energiekrise und die steigenden Zinsen. Die Unternehmen achten auf Bedingungen, die die Refinanzierung erschweren", so Smit von Freshfields. Nach einer Zeit des soliden Wirtschaftswachstums gilt es nun, den Sturm zu überstehen.
Schrumpfung in Italien
Interessanterweise konnten vor allem die niederländischen und deutschen Unternehmen ihre Finanzlage in diesem Jahr weiter stärken. In Deutschland belief sich dieser Betrag bis September auf fast 50 Mrd. Euro und in den Niederlanden auf 26 Mrd. Euro. In Frankreich gab es kaum ein Wachstum, in Österreich und Spanien einen Rückgang und in Italien eine Verschlechterung der Finanzlage um 16,5 Mrd. Euro.
Smit ist der Meinung, dass sich die Unternehmen wirklich auf härtere Zeiten einstellen. "Es ist daher besser, gut vorbereitet zu sein. Die Regierung wird nicht weiter helfen", verweist er auf die unterschiedliche Situation in den Jahren 2020 und 2021.
Den Unterschied zwischen Deutschland und den Niederlanden und anderen Ländern der Eurozone erklärt Smit mit der starken Erholung nach dem ersten Corona-Schock in der ersten Hälfte des Jahres 2020. "Die Unternehmen in diesen Ländern konnten auch mit mehr staatlicher Unterstützung rechnen, da die Regierungen über tiefere Taschen verfügten", meint er. "Das wiederum führte zu Unmut in anderen Ländern. Aber auch in den Niederlanden ist die Inflation jetzt höher, was die Unternehmen vorsichtiger werden lässt".
Auf dem Weg zur Rezession?
Das Bruttoinlandsprodukt der Niederlande ist bereits im dritten Quartal um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal gesunken. Dies ist vor allem auf die geringeren Investitionen zurückzuführen (minus 1,7 Prozent). Im vergangenen Monat erwartete die Rabobank für das vierte Quartal einen Rückgang um 0,4 Prozent, gefolgt von einem Rückgang um 0,5 Prozent in den ersten drei Monaten des Jahres 2023.
Für die letzten drei Monate des Jahres 2022 prognostizierte ING einen ähnlichen Rückgang wie im dritten Quartal. Dies würde die Wirtschaft in eine Rezession stürzen, da zwei aufeinanderfolgende Quartale mit Schrumpfung zu verzeichnen sind.
Die große Frage ist, wie viele Ansprüche die Unternehmen letztendlich auf ihre Puffer stellen müssen. Wenn der wirtschaftliche Abschwung nicht zu stark ausfällt, werden sie auch weiterhin vor Geld strotzen. Die Unternehmen werden dann einen Teil davon für Aktienrückkäufe und Dividenden für Eigentümer und Aktionäre ausgeben, meint Smit. Er erwartet aber auch, dass die Unternehmen wieder über strategische Übernahmen nachdenken werden. Smit: "Wenn die Rezession später besser ausfällt als erwartet oder weniger lange dauert als erwartet, ist es unvermeidlich, dass ein großer Teil dieses riesigen Geldsacks in Fusionen und Übernahmen fließt".
Text: Jeremy Gray
Foto: Imago
Quelle: Financeele Dagblad